Ambrosio Necchi arbeitete in dritter Generation im handwerklichen Gießerei-Betrieb der Familie in Pavia. 1880 übernahm er den Betrieb und baute ihn zu einem Industrieunternehmen mit 170 Arbeitern aus. Der Sohn Vittorio übernahm nach seiner Rückkehr vom Einsatz im WK1 1919 die Verwaltung der Fabrik. Sein Vater Ambrosio war bereits einige Jahre zuvor verstorben. Vittorio hatte an sich keinen Bezug zur Mechanik, sondern interessierte sich eher  für Fotographie, klassische Studien und Tierzucht. 

 

Doch – so berichtet die Chronik der Necchis – es wäre Vittorios Frau gewesen, die sich nach dem WK1 eine  Nähmaschine wünschte – und Vittorio kaufte nicht einfach eine Singer oder Maschine der anderen ausländischen Hersteller, die in Italien den Markt beherrschten. Nein, Vittorio wusste, dass in der Eisengiesserei der Necchis bereits Teile für andere Hersteller produziert wurden, so kam er auf die an sich verrückte Idee, unter Verwendung solcher Teile selbst eine Nähmaschine für den häuslichen Gebrauch der Italienerin herzustellen. 

 

Vittorio Necchi gründete dazu in der Via Vigentina in Torrettina eine kleine Fabrik mit vierzig Arbeitern.  Dort produzierte man als erste Maschine eine mit Handkurbel betriebene „BD“ (Bobbina Domestica). Die Maschine soll insbesondere wirtschaftlich kein Erfolg gewesen sein, hatte wohl auch technische Probleme. Kein Wunder, war der italienische Markt bereits in Händen der großen ausländischen Marken aufgeteilt, der Markteintritt für ein Start-Up beinahe unmöglich. 

 

Wie sollte sich da jemand, der aus der Giessereibranche stammte und nicht in der Mechanik zu Hause war, im Markt neu etablieren können? Vittorio Necchi und sein Team gaben nicht auf. Sie vereinfachten oder verfeinerten die Technik, informierten sich bei den Konkurrenzmodellen über die technischen Entwicklungen, aus denen sie teils durch Nachahmung, teils durch Kombination bessere, praktikablere Lösungen fanden. Und immer behielt man auch die Wünsche und den Nutzen der Käufer im Kopf - so verkaufte Necchi die Nähmaschinen zu einen deutlich günstigeren Preis als die Konkurrenz. Das traf auch für die Modelle zu, die Necchi für industriellen Einsatz fertigte (die sich optisch sehr an Bernina wie auch Pfaff orientieren). 

 

Necchi schaffte es damit schnell zu Anerkennung und Umsatz, wurde größter Nähmaschinenhersteller und Marktführer Italiens. Die Aktivitäten beschränkten sich dann nicht nur auf Nähmaschinen, Necchi stieg auch in den Automobilsektor und anderen Branchen ein.

 

Die Nähmaschinen-Modelle wurden mit Mädchennamen und Ziffern  sowie der genutzten Spulenkapsel bezeichnet – z.B. Necchi BU Mira BF (Bobbina Famiglia) war eine neue Entwicklung bei der Necchi umgehend auf den Trend zu automatischer Steuerung der Stichbreite durch eine Aussensteuerung setzte: das Necchi Wonderwheel. Die Necchi Lelia510, und folgende die Nora BU (Bobinna Universale) und das Topmodell der Necchi Supernova – ultra – auch Julia genannt – wurden wirtschaftlich wie auch technisch die Erfolgsmodelle von Necchi.

 

Necchi hat sich gegenüber der etablierten Konkurrenz nicht nur in Italien durchgesetzt – wohl auch durch ein Gespür für Märkte und deren Entwicklungen. Während in Europa die Hersteller ihre Maschinen mit immer mehr Technik auszustatten und für den Markt bestenfalls die bisher schwarzen Maschinen in wenigen neuen Farben erstrahlen ließen, dachte Necchi weiter an die Wünsche seiner Zielgruppe: Frauen, und ließ Mitte der Fünfziger Jahre, nachdem 1952 ein weltweiter Umsatzeinbruch die Nähmaschinen-hersteller heftig getroffen hatte, vom Designer Marcello Nizzoli (1887-1969) eine Nähmaschine nicht nur zu einem technischen Gerät, sondern zu einem modernen Designstück umgestalten. Nizzoli entwarf das Design der „Mirella“, die 1956 auf den Markt kam und da für viel Aufmerksamkeit sorgte. Diese Maschine war leicht, sah fast futuristisch aus und verwöhnte mit Ihren Formen auch das Auge – schaffte Emotionen. Die Mirella wurde mit vielen Design-Preisen ausgezeichnet und schaffte es ins Museum of Modern Art, New York als Ausstellungstück für modernes Design aufgenommen zu werden! 

 

Necchi machte auf diesem Wege weiter, entwickelte die Designsprache der Mirella weiter in den Modellen der Fünfhundertvierziger Reihe – 544  Lydia oder die 545 Super Doppia – die trotz ihres eleganten, leichten Designs 19 verschiedene Sticharten bot. Necchi beauftragte 1981 den Designer Giorgetto Giugiaro mit einem komplett neuen Ansatz die Nähmaschinenwelt zu überraschen. Giorgetto Giugiaro? Sein Name stand bereits seit den 50igern Jahren für interessantes Industriedesign – insbesondere in der Automobil-branche. So war er der Schöpfer des alten Fiat 500, des Alfa Sud, und er war zuständig für den Inbegriff einer ganzen Generation, den VW Golf wie auch den VW Scirocco. Die Necchi 591 Logica kam auf den Markt. Aber Giugiaros Ansatz war technisch und im Design wohl zu radikal, die möglichen „jungen“ Kunden fehlten, weil Selbstnähen durch günstige Konfektion aus der Mode kam. Der traditionelle Nähmaschinenhandel war nicht vorbereitet, und im Versandhandel konnte dieses neue, hochpreisige Konzept nicht erfolgreich platziert werden. Anders als die Mirella wirkt das Design der Logica technisch hart, industriell, roboterhaft – weder die Kundschaft noch der traditionelle Handel war auf computerisierte Maschinen eingestellt. Die noch recht neue Technologie brachte keine Kostenvorteile aus der Menge – die Bauteile waren bereits bei der Herstellung sehr teuer, der Versuch in Mengeneffekte zu kommen füllte nur die Lager ohne entsprechenden Abverkauf. So ist mit diesem technischen Schritt von der Mechanik zur Elektronik auch die Firma Necchi – wie andere in der Zeit (z.B. ELNA),  am Ende wirtschaftlich gescheitert.

 

(Quellen: Webseite der Necchi.it, Needlebar, etc.)

 

Text: Klaus-M. Schmidt

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