Podolsk

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Zur Geschichte.

Podolsk 142, baugleich mit Čajka 142 und 143

Podolsk 142, Nutzstichautomatik-Zickzack-Maschine mit Anbaumotor, Hersteller: Nähmaschinenwerke Podolsk, Russland (Bilder: H. Demmer)
Podolsk 142, Nutzstichautomatik-Zickzack-Maschine mit Anbaumotor, Hersteller: Nähmaschinenwerke Podolsk, Russland (Bilder: H. Demmer)

Die in westlichen Ländern relativ unbekannte Podolsk 142 ist eine Nutzstichautomatik-Zickzack-Maschine, die Mitte der 70er Jahre des 20 Jahrhunderts. entwickelt wurde und bis ca. 1991 gebaut wurde. Man kann das vorgestellte Exemplar auf eine vermutliche Herstellung in den Jahren 1981 bis 1982 datieren, wenn der datierte Motor noch die sehr wahrscheinliche Erstausstattung ist. Auf Farbzusammenstellung hat man bei den wechselnden Import-Motoren in der kränkelnden Planwirtschaft, in der nur die Zahlen der 5-Jahrespläne, zählten wohl kaum geachtet. In kyrillischen Buchstaben prangt der Schriftzug Podolsk 142 auf der kunststoffumrahmten Alublende, darüber der optisch „gekappte“ Sowjetstern mit dem CCCP. Die Maschinen erinnern äusserlich etwas an die letzten Veritas-Modelle (Famula) aus Wittenberge. Tatsächlich gab es eine enge Zusammenarbeit aller Nähmaschinenhersteller im Ostblock. Die 142 wird durch einen Rucksackmotor angetrieben, wie oft durch den den auch im Westen beliebten ASPA-TUR2. ASPA ist ein polnischer Elektrotechnik- und Waffenlieferant, der u. a. das ehemalige Luscnik-Nähmaschinenwerk in Radom übernommen hat.

 

Als Podolsk 132 oder Čajka 134M (sprich Tschaika, Übersetzung: „Möwe“, das Markensymbol mit zwei stilisierten, fliegenden Möwen) wurde sie auch als einfache Zickzackmaschine verkauft. Als ältere Čajka–III wurde die spätere Podolsk 142 mit einem Vorwärts-Rückwärts-Stichlängenhebel statt Drehknopf und Taste produziert. In Schränken nach Singer-Vorbild eingebaut, wurden alle Maschinen auch häufig als Tretmaschine verkauft. Das Gehäuse mit Deckel und die Grundplatte bestehen aus Aluminiumdruckguss. Mechanisch zeichnen sich die Maschinen durch einfache Steuerung mittels Pleuel-, Kipp- und Exzenterstangen aus.

 

Als Nutzstiche stehen bei der 142 eine Blindstichnaht, ein elastischer Zickzack mit drei Zwischenstichen sowie zwei gestickte Wellennähte zur Verfügung. Sie werden am linken Drehknopf mit Andrücken gegen die Maschine nach daneben aufgedruckter Legende eingestellt. Achtung, es sind keine Einstellungen zwischen den Strichmarken möglich, Beschädigungsgefahr! Die Zickzack- und Nutzstichbewegungen werden ähnlich Veritas-Vorbildern von einer quer eingebauten Walze aus schwarzen Kunststoff-Kulissenscheiben mit je einem Kipphebel aus Blech abgetastet. Der jeweilige Hebel wird durch eine Stellwalze mit Exzentern, z.T. aus Kunststoff, über den Drehknopf und mit Verstellung der Übertragungswinkel über die Zickzackweiteneinstellung entsprechend in Kraftschluss gebracht. Ein langer für die Rückholung gefederter Kipphebel aus dickem Blech überträgt die Bewegung auf die Nadelstange. Die Veritas-Maschinen 8014/25 oder /29 haben nur einen Abtasthebel, der auf die gewählte Kulisse entsprechend verschoben wird. Die Kulissenwelle wird ständig von einem Polyamid-Kunststoffzahnrad über einer Schnecke der Armwelle angetrieben. Die Armwelle liegt in Lagerbuchsen aus Lagermetall im Aludruckgussgehäuse. Die Zickzackstich-Lage rechts-mittig-links wird durch einen zweiten Drehring mit zwei Griffen hinter der Zickzackbreiten-Verstellung am rechten oberen Knopf eingestellt und unterstützt das Nähen von Knopflöchern.

 

Es werden Standardnadeln des Typs 130/705H verwendet, die mit den vorgeschriebenen russischen Nr. 0220 nach GOST 22249-76 übereinstimmen. In den oberen Fadenführungen sind Doppellöcher für zwei Fäden und Nähen mit Doppelnadel. Die Maschine reagiert relativ unempfindlich hinsichtlich der Fadenspannungseinstellung auf verschiedene Garne und Stoffe.

 

Der nach vorn zeigende CB-Greifer wird über ein Pleuel auf einer Armwellenkurbel und eine Kippwelle über nach unten offenliegende Stahl-Kegelsegment-Zahnräder angesteuert. Der Standard-CB-Greifer wird von einem abklappbaren Blech hinter einer abnehmbaren Stahlplatte gehalten. Die Spulenkapsel und die Spulen entsprechen dem Standard-CB-Greifer bei Pfaff, Singer u. a..

 

Die Maschine besitzt eine niedrige, international übliche Nähfußbefestigung an senkrecht stehender Nähfußstange mit Fadenabschneidekerbe. Es können Materialien bis 4,5mm Dicke verarbeitet werden. Der Fußdruck kann etwas umständlich nach Abschrauben des Maschinendeckels mit der daran festen Abdeckung der Nadelstangenmechanik und des Nählichts reguliert werden. Die Nähfussstange mit der oberen Verstellrändelmutter sieht dabei alten Singermaschinen ähnlich. Einfacher geht es durch Verstellen des Einstellrades für den Hub des Transporteurs unter der Schiebeplatte. Die Einstellung ist weiter unten beschrieben. Der Transporteur wird über eine Gabel auf einem Excenter auf der Armwelle angesteuert. Der Ausschlag der Exzentergabel wird von der Stichlängeneinstellung bestimmt. Alle Einstellknöpfe bestehen aus robustem Kunststoff. Etwas Kraft benötigt man, um den Rückwärtshebel gegen die stramme Feder herunter zu drücken.

 

Die Fadenführung ist fast selbsterklärend, siehe Bild oben. Die Fadenspannungsregelung mit Entlastung bei angehobenem Nähfuss ist je nach Baujahr etwas unterschiedlich ausgeführt. Die Stifte der Garnrollenhalter sind versenkbar. Der dicke Stift auf der Deckelmitte dient der Vorspannung beim Aufspulen.

 

Viele bewegliche Metallteile sind brüniert, wie man es von Waffen kennt. Es ist in Verbindung mit etwas säurefreiem Öl ein einigermaßen wirksamer Rostschutz, was bei dem Einsatz in der „weiten Taiga“ mit hohen Temperaturschwankungen und Kondenswasserbildung auch sicher ganz sinnvoll war.

 

Die Lackierung der Maschine zeigt nach der langen Benutzung deutliche Abnutzung, wobei es wohl auch Lackhaftungsprobleme mit flächigen Abplatzungen auf dem Aluguss der Grundplatte gibt. Die Stichplatte und die Schiebeplatte für die Unterfadenspule sind mattverchromt. Ein Schraubloch in der Grundplatte für ein Führungslineal oder anderes Zubehör fehlt leider.

 

Dank der selbsterklärenden Anordnung und Gestaltung der Bedienelemente ist eigentlich keine Bedienungsanleitung erforderlich, die man ja wegen der kyrillischen Schrift und russischen Sprache kaum lesen könnte. Man kann sie aber hier einsehen und wenigstens die Abbildungen betrachten:

http://de.slideshare.net/ssuser6cd6bc/podolsk-142-instruction?ref=http://rukodelnik.su/sewing-podolsk/.

 

Auf die o.g. Verstellmöglichkeit des Transporteurs wird mit Bild 12 der Anleitung eingegangen. Die überarbeitete Google-Übersetzung des zugehörigen Textes lautet:

6.5. Einstellen der Hubhöhe des Transporteurs mit dem Regelknopf Ziffer 1 (Abb. 21)

Zum Verstellen des Regelknopfes muss die Schiebeplatte entfernt werden. Der Regelknopf ist

• für normale und dicke Stoffe auf „H“ („N“ für normal) ,

• für die feine Stoffe auf die Markierung „Ш“ („Š“ für Seide),

• für Sticken und Stopfen auf „В“ ohne Hub ( „V“ ohne Hub für Stickarbeiten)

  zu drehen. Die Markierungen müssen oben sein.

Nicht beschrieben wird, dass Zwischenstellungen zur Feinregulierung möglich sind, die das Abschrauben des Maschinendeckels zum Verstellen des Nähfußdrucks ersparen. Die Federrasten des Regelknopfes sind sehr stramm.

 

Am vorgestellten, etwas ramponierten Exemplar fehlte der durch einen starren ersetzbare 2. Garnrollenstift, der leicht ersetzbare, z. Zt. überbrückte Druckknopf-Lichtschalter und die automatische Abschaltung des Spulers durch einen früher im Deckelschlitz eingeschraubten Kunststoffblock. Die Fadenspannung benötigt auch mal eine neue Fadenanzugsfeder. Die Kulissenscheiben zeigen deutliche Einlaufspuren der Kipphebel, die sich bei 5mm Zickzackbreite durch 1mm mittige Überschneidung der äußeren Stichlagen rechts-links bermerkbar machen. Die Stichbreite wird in den Lagen aber so nie benötigt. Die Bilder geben den nicht so perfekten Erhaltungszustand ungeschönt wieder. Eigentlich sollte der Kauf der auf dem Angebotsfoto undefinierbaren Maschine nur der Beschaffung des schwarzen TUR2-Motors dienen. Der unerwartet völlig funktionstüchtige Erhaltungszustand zeigt aber, dass die Maschine zwar in den ca. 34 Jahren nicht geschont wurde und dennoch wenig Schaden nahm. Deshalb wird diese Maschine mal im noch nicht innen gereinigten, unrestaurierten Zustand vorgestellt, so wie sie aufzufinden war. Das entspricht auch heutiger Museumsphilosophie, siehe Technik Museum Berlin.

 

Es gibt sogar wegen der Verbreitung in Osteuropa im Internet und der Verwendung von Standardteilen auch anderer Marken einige Ersatzteile zu kaufen. Leider fehlen bei diesem Exemplar die als Zubehör mitgelieferten Nähfüße:

• Reissverschlussfuss mit verstellbarem rechtem Anschlaglineal (Quiltlineal)

• Knopfannähfuss

• Rollsaumfuss

• spezielles linkes Anschlaglineal für Blindsäume, unter der Nähfussschraube    

   zusammen mit Standardnähfuss zu befestigen.

• käuflich zusätzlich erwerbbar: ein Faltenleger /Ruffler: Singer-Modelle passen

Es passen aber fast alle Standard-Nähfüsse mit niedriger Befestigungshöhe z. B. von Singer-Maschinen mit senkrecht stehender Nadelstange.

 

Als Čajka 143 wurde die Podolsk 142 modernisiert mit oberem Tragegriff und nur geringfügigen Veränderungen bis zum Verkauf des Werkes 1991 produziert.

 

In der Betriebsanleitung steht unter den technischen Daten, dass die Podolsk 142 bis zu 1000 Stiche pro Minute leisten kann. Natürlich nur mit einem entsprechenden Motor. Mit einem TUR 2 (Leerlauf max. 5000 /min) , unter Last der Maschinenmechanik und der Untersetzung vom Motor zur Antriebssscheibe am Handrad von ca. 7:1 werden das kaum mehr als 500 sein.


Einen Eindruck vom Nähverhalten und Einblick in die Wartung kann man in diesen russischen Videos des Nähmaschinenmechanikers, der auch die Anleitung bereitgestellt hat, bekommen:

https://www.youtube.com/watch?v=LA3wr67WMSc

https://www.youtube.com/watch?v=Cma4nLhyBXk

https://www.youtube.com/watch?v=YN6Cmvw62c0

 

Die Maschine läuft, wie man auch dort hören kann, nicht ganz geräuschlos. Die Hauptlärmquelle sind die Zahnräder des Greiferantriebs und der federnde Transporteur, was man mit stets guter Schmierung der Zahnrädern, sowie der Dreh-und Umlenkpunkte mindern kann. Die Geräuschkulisse ist jedoch nicht schlimmer als bei vielen modernen „Plastikmaschinen“. Die Podolsk 142 bekam dafür vom jetzigen Besitzer den scherzhaften Spitznamen „Taigatrommel“. Sie zeigt ein gleichmäßiges Stichbild. Das Nähverhalten ist unkompliziert und ähnelt älteren Singermaschinen.

 

Auf Grund ihres Nähverhaltens, der internationalen Standardteile und robusten, weitgehenden Metallausführung der Mechanik kann man die Maschine mit ihrem „sozialistischen Charm“ in die 2. Liga einordnen und ihr 9 von 10 Punkten geben.

 

Text: H. Demmer

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